Dienstag, 5. Juli 2011

Wetter- und andere Fühligkeiten

Salon mit Hazel Rosenstrauch am 20. Mai 2011
Vielleicht muss es auch solche Salons geben: die, wo ein falscher Ton im Raum schwingt, wo es klemmt und knirscht, wo es trotz Schwüle nicht richtig warm wird, wo es draußen wittert und räppt und drinnen zähe Spannung steht.
Aus der Dachrinne über dem Fenster tost es. Im Flur schichten sich Regenjacken, Schirme, Stiefel; in der Küche wird aufgetan, geschnitten, gewaschen. Der Salon ist schon voll, und doch warten wir noch auf eine Gruppe Verregneter.
Zuerst liest Hazel Rosenstrauch aus ihrem Essaybändchen JUDEN NARREN DEUTSCHE (dessen Titel vor allem gesprochen seinen Witz entfaltet). Sie beginnt mit ihrer „Achse des Guten“, einem dichten, komplexen Text, liest über den – möglicherweise vererbbaren – Botenstoff „Emigrans“, über „Erinnern und Erinnertwerden“ und, auf meinen ausdrücklichen Wunsch, „Notizen für einen Businessplan“, wo sie sich ausmalt, sozusagen als Jüdin vom Dienst ihr Geld zu verdienen. Solche Querdenkereien und „Der-hat-ja-gar-nichts-an“-Rufe machen das Buch pikant-provokant. Es ist zum aufmerken, nachdenken, sich wundern, eventuell verstören: wenn sie sich vorstellt, dass Juden aus Flüchtlingslagern an den Grenzen auf Deutschland Raketen abschießen oder fragt, warum eigentlich bei uns heute die aus anderen Ländern geflüchteten Ärzte, Wissenschafter, Intellektuellen keine besondere Förderung und Aufnahme erfahren. Und wenn sie immer wieder hineinpiekst in unsere ritualisierte Erinnerungsblase. Doch Hazel Rosenstrauchs Credo scheint mir dieses zu sein:
Ich wäre gern Mörtel, verknüpfe und hüpfe, wo immer möglich, zwischen Ressorts und Boxen, eher Nestflüchter als Nesthocker. Mittlerweile bezeichne ich diese gelegentlich sehr lästige Begabung, den Sprachspielregeln angepasst, als „postmoderne Schnittstellenpersönlich- keit“. Früher war es typisch jüdisch.
Nach der Pause geht es weiter mit Wahlverwandt und ebenbürtig. Caroline und Wilhelm von Humboldt, einer Doppelbiografie des Paares oder einer Biografie ihrer lebenslangen Beziehung und Ehe. Sie liest das Kapitel über die Reise durch Spanien, das damals noch sehr wild gewesen sein muss und wo sich Caroline wieder einmal als emanzipiert und selbstbewusst erweist. Und Wilhelm hatte ja schon bei vorherigen Reisen konstatiert, dass er im Ausland deutscher wird, wie ja die Deutschen überhaupt „tiefer, empfindsamer, tugendhafter, den hohen Idealen näher sind“ als z.B. die Franzosen, (was mir übrigens auch heute noch sehr bekannt vorkommt). Humboldt, als Politiker und Bildungsreformer – trotz kurzer Einsatzzeit – bekannt und verehrt, schreibt auch für „potentielle Mitleser: Zensoren, Historiker“ und also auch für uns, die Nachwelt.
Wie viele Figuren jener Epoche, so die Varnhagens (über ihn hat H.R. auch ein Buch verfasst), traten sie weniger als Schöpfer von Kunst und Literatur hervor und waren doch unentbehrlich als Vermittler und Netzwerker, als eine Art „Mörtel“: Caroline als Salonnière und Kunstmäzenin, Wilhelm auch als Sprachforscher und Übersetzer (u.a. des Agamemnon von Aeschylos), und beide als Briefeschreiber.
In ihren Briefen an einander beschreiben sie immer wieder die Bedeutung des Gegenübers, des „Du“, das für die Verfassung des eigenen Ich und seiner Gedanken Resonanzraum und Folie bietet. In der Biografie präsent ist aber auch das starke Ich der Verfasserin, das anders als in „allwissenden“ Biografien interpretiert, mutmaßt, feststellt, bewertet, und somit eine zeitgemäße und lebendige Lesart dieser Leben anbietet.
Über das Buch Aus Nachbarn wurden Juden. Ausgrenzung und Selbstbehauptung 1933-1942 sprachen wir an dem Abend nicht, aber ich will es erwähnen. Das Buch stellt sich gegen die Leichenberge, gegen Hass und Tremolo in der Stimme, gegen gut gemeinte Klischees. Es erläutert mit Fotos (von Abraham Pisarek) und Zeitzeugeninterviews, das man sich nicht hat „wie Lämmer zur Schlachtbank führen lassen“, sondern vor Ort sozial aktiv wurde und sich intensiv um Ausreise bemühte. Sie warnt uns davor, Kategorisierungen einfach zu übernehmen: „Kein Philosoph hat die Frage endgültig beantwortet, was ein Jude sei, nur die Verfolger hatten die Antwort, wussten auch noch genau, was ‚viertel- oder achteljüdisch’ und was ‚rein deutsch’ sei.“ Wieder einmal geht es darum, eingeschliffene Bilder und Urteile zurechtzurücken, eine neue Sprache zu finden.
Von den vielen Gästen gingen die ersten in der Pause und weitere in einer Umblätterpause im zweiten Teil. Die Diskussion war verhalten. Der Abend war rasch zu Ende; ich habe alles aufgeräumt und abgewaschen und war enttäuscht zu gesunder Zeit im Bett.
Ich wünsche mir für den Salon, dass er auch in Zukunft ein Ort für Unbequemes und Unorthodoxes sein kann. Und: Dass die Gäste kommen und bleiben, um an dem Gesamtkunstwerk Salon zu dem sie gehören teilzuhaben und es entstehen zu sehen.
P.S. Darauf die Autorin in einer E-Mail: Aber enttäuscht sein sollten sie nicht, man kann keine Hazel Rosenstrauch einladen, ohne daß es manchen Leuten nicht paßt.