Donnerstag, 13. Januar 2011

Nachlese


Salon mit Christian Halbrock am 4. Dezember 2011
„Wir wollen uns die DDR auch mal von außen ansehen“ hieß es im Herbst 1989 auf einem Plakat, das mir aus dem Herzen sprach. Es war bei einer Montagsdemo in Dresden oder bei der ganztätigen Alex-Kundgebung am 4. November 1989, die ich mir im Fernsehen angeschaut habe. Damals ging es nämlich noch um eine bessere DDR und um die Reisepässe, die wir bald bekommen sollten.
Seitdem haben wir uns die DDR, die Bundesrepublik und Europa öfter und länger von außen ansehen können, vieles vergessen und durch neue Eindrücke ersetzt. Manche leben immer noch irgendwie in ihrer kleinen DDR, jetzt mit Westauto. Manche sind nach Westdeutschland gezogen und dort heimisch geworden, manche aber auch nicht. Und andere schauen sich die DDR von Berufs wegen von außen bzw. im Rückblick an. Christian Halbrock ist einer von ihnen. Er ist Historiker und arbeitet derzeit bei der Birthler-Behörde.
Im Salon erzählt er uns zunächst von seiner neuesten Arbeit für den Band „Unerkannt durch Freundesland. Illegale Reisen durch das Sowjetreich“ im Lukas-Verlag, der im Ergebnis einer Ausstellung zum gleichen Thema erscheint. Darin kommen Abenteurer aus der DDR zu Wort, die auf eigene Faust durch die riesige, wilde UdSSR gereist sind, und Christian hat dazu die Aktenlage gesichtet und aufgearbeitet. In die Sowjetunion konnte man ja eigentlich nur auf Einladung reisen, aber einige haben die bei der Polizei eingeholte Erlaubnis zur dreitägigen Transitreise nach Rumänien oder Bulgarien für diesen Zweck etwas ausgedehnt. Das ist zum Teil recht amüsant, wenn etwa ein unverfrorener Reisender seinem Stasi-Führungsoffizier eine Postkarte vom Baikalsee schickt oder ein anderer die sowjetischen Behörden, die ihn festnehmen, mit Schwärmereien über den Kaukasus so verwirrt und entnervt, dass sie ihn laufen lassen. Christian erzählt lieber, als er liest, und das Publikum ergänzt mit eigenen Erfahrungen, Beobachtungen und Überlegungen, so dass die Lesung eher zu einem lebendigen Gespräch wird.
Im zweiten Teil geht es um „Weggesprengt. Die Versöhnungskirche im Todesstreifen der Berliner Mauer 1961-1985, eine detaillierte Schilderung des Schicksals dieser unspektakulären und von vielen im Stich gelassenen Kirche. Es entfaltet sich eine unerwartet spannende Geschichte von Mächtespielen in Ost und West, über den relativen Spielraum der Kirchen in der DDR, darüber, wie auch Einzelpersonen ihre Ämter prägten, wie kreativ und spielerisch Opposition sein konnte. So wurde der Abriss der Versöhnungskirche erst durch die zusammenwirkende Konformität vieler einzelner möglich. Die Geschichte ihrer allmählichen Verurteilung und Verdammung lässt den Leser mit der Kirche mitbangen, schutzlos und verlassen im Niemandsland, wie sie war, und setzt ihr ein kleines Denkmal.
Eigentlich entstand diese Arbeit im Auftrag der Gedenkstätte Berliner Mauer, die sie dann wegen ungenehmer Ergebnisse nicht veröffentlichen wollte, so dass sie 2008 als Sonderheft der Zeitschrift Horch und Guck. Zeitschrift zur kritischen Aufarbeitung der SED-Diktatur erschien. Dazu schreibt Christian im Vorwort: „Manch gedenkpolitischer Akteur und auch manch Zeitzeuge wird an der einen oder anderen Formulierung Anstoß nehmen. Und vielleicht wird er sich auch an Wertungen stören. Wertungen und Auseinandersetzung sind aber durchaus gewollt, denn sie gehören zu lebendiger politischer Bildung.“
Auch in der DDR hat Christian Halbrock es sich nicht leicht gemacht und man hat es ihm nicht leicht gemacht. 1963 geboren, war er unter anderem Mitbegründer der Umweltbibliothek. Seine Zeit im Prenzlauer Berg hat er in dem Aufsatz „Vom Widerstand zum Umbruch: die oppositionelle Szene in den 80er Jahren“ in Prenzlauer Berg im Wandel der Geschichte. Leben rund um den Helmholtzplatz (2004) resümiert. In den neunziger Jahren studierte er Geschichte und Ethnologie und promovierte 2004 zum Thema Evangelische Pfarrer der Kirche Berlin-Brandenburg 1945 - 1961. Amtsautonomie im vormundschaftlichen Staat? Im Ergebnis seiner Arbeit mit dem Bürgerkomitee Normannenstraße entstand Mielkes Revier: Stadtraum und Alltag rund um die MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg (2010). Wie auch im Fall der Versöhnungskirche oder im Prenzlauer Berg manifestiert sich Geschichte hier vor allem auch in der Stadt, in der die Menschen ihren Alltag (er)leben.
Seine im Vergleich wenig polemische Darstellung von Geschichte erklärt Christian aus seinem eher technischen Temperament (Ausbildung im VEB Schiffselektronik Rostock). Doch ich bin mir da nicht so sicher. All zu oft scheint mir die Beschäftigung mit der DDR politisch motiviert, eine persönliche Abrechnung oder der Wunsch, vorgefertigte Meinungen bestätigt zu finden, oder eine Bestätigung der Folgerichtigkeit des bestehenden Systems.
Aufklärungsarbeit gilt es immer noch zu leisten, so lange z.B. eine große britische Zeitung schreibt, dass in der DDR „rote“ Weihnachten mit einem roten Stern und Agitprop-Gedichten von Erich Weinert gefeiert wurden. Es ließe sich noch so einiges erforschen: Wie man sich auch ohne Westklamotten individuell kleidete, wie man sich im Selbermachen (Wein, Stricken, Nähen, Fahrrad reparieren usw.) ausprobierte, wie und was man las, wie bürgerlich und spießig die DDR auch war. Oder aber auch was diese gewisse Wärme war, die wir empfanden und die uns heute manchmal fehlt. Christian Halbrocks Arbeit mit bestechenden, unbestechlichen Fakten aus Akten zeigt, wie man DDR-Geschichte auch schreiben kann: klug und sachlich und als „fröhliche Wissenschaft“, wie ein Besucher im Gästebuch schreibt.